Dienstag, 27. November 2012

Anne Holt: Der norwegische Gast

Bewertung: *****

Hanne Wilhelmsen sitzt seit einer Schussverletzung während eines Polizeieinsatzes im Rollstuhl.
Sie befindet sich auf dem Weg von Oslo nach Bergen zu einem Spezialisten für Rückenmarksverletzungen, als ihr Zug auf der vereisten Strecke kurz vor dem Finse Tunnel in 1222 m Höhe entgleist.
Alle Passagiere können in das Berghotel "Finse 1222" evakuiert werden.
Der anfängliche Sturm entwickelt sich jedoch zu einem immer stärker werdenden Orkan und die 296 Menschen sind von der Außenwelt abgeschnitten. Dazu gibt es noch Gerüchte über einen geheimnisvollen Wagon, der an den Zug angehängt wurde. Doch wer befand sich in dem Abteil?
Aus ihrer Erfahrung im Polizeidienst weis Hanne, dass so eine Gemeinschaft nicht lange ruhig bleibt.
Schnell bilden sich Rudelführer heraus und in der ersten Nacht kommt es zu einem Mordfall.
Gemeinsam mit einem Anwalt, einem Arzt und der Hotel-Direktorin versucht Hanne nun die Situation unter Kontrolle zu halten.
Doch unter ihnen befindet sich ein Mörder. Wird es noch weitere Opfer geben?

"Der norwegische Gast" ist mein erstes Buch von Anne Holt und hat mich überzeugt noch mehr von dieser Autorin zu lesen. Ich fand es sehr fesselnd und bis zum Ende hatte ich so gut wie keine Ahnung, wie sich die Situation aufklären wird.
Ein wenig hat es mich vom Aufbau her an das Brettspiel "Cluedo" erinnert.
Ein Mordopfer wird aufgefunden, aber wer von den anwesenden Personen ist der Mörder? Wie wurde das Opfer getötet und was ist das Mordmotiv?
Hier ist eine gute Auffassungsgabe und Menschenkenntnis gefragt.
Hanne ist nicht unbedingt die Art von Ermittlerin, die ich in einem Norwegen-Krimi erwartet habe. In der Gesellschaft nimmt sie als Rollstuhlfahrerin und in einer lesbischen Beziehung lebende Frau eher eine Außenseiterposition ein. Doch in dieser Rolle fühlt sie sich nicht unwohl. Für sie gibt es nichts Schlimmeres, als ihre Unabhängigkeit aufgeben zu müssen und auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein, oder gar Mitleid zu ernten. Lieber gibt sie sich unnahbar und störrisch und hält so ihre Umwelt auf Abstand. Doch durch die Abgeschiedenheit im "Finse 1222" muss Hanne auch erkennen, dass es nicht schadet auch einmal Hilfe anzunehmen und es sich lohnt Vertrauen entgegen zu bringen. Auf ihre Art wirkt Hanne daher sehr sympathisch auf mich.
Auch den psychologischen Ansatz des Buchs fand ich sehr interessant. Die Wirkung, die extreme Ausnahmesituationen auf die einzelnen Individuen haben, die Vorurteile mit denen man sich auseinander setzen muss und schließlich auch die Dynamik, die eine Gruppe entwickeln kann. Zwar stellen die Menschen im "Finse 1222", wie auch Hanne feststellt, nicht unbedingt einen Querschnitt aus der Bevölkerung Norwegens dar, doch sind hier die meisten Stereotypen vertreten, die sich nun auf engstem Raum miteinander zurechtfinden müssen. Dabei stellte sich auch mir als Leser die Frage, wie ich mich in einer solchen Situation verhalten würde. Welcher Gruppe würde ich mich anschließen? Wäre ich selber eher ein Anführer, Teil eines Rudels oder Einzelgänger? Diese kleine Gemeinschaft lässt sich also durchaus auch auf die Gesellschaft im Allgemeinen übertragen.
Das Buch selber ist in 13 Abschnitte gegliedert, die wiederum in einzelne Kapitel unterteilt sind.
Jeder Abschnitt wird eingeleitet mit einer Erläuterung zur Klassifikation von Winden anhand ihrer Geschwindigkeit (Beaufordskala). Beginnend mit Windstärke 0 - Windstille - entwickelt sich der Roman so bis zur Windstärke 12 - Orkan - und der gleichzeitigen Aufklärung des Falls.
Diese Entwicklung ist somit kongruent zur Romanstruktur, was die zunehmende Bedrohlichkeit der Situation verdeutlicht.
Den Titel "Der norwegische Gast" konnte ich nicht unbedingt in Zusammenhang zum Romanverlauf bringen. Ich finde ihn daher nicht sonderlich passend gewählt. Sehr gut gefällt mir jedoch das Titelcover.


Und hier kann man das Buch kaufen: Anne Holt: Der norwegische Gast

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